Interview: Die Stadtwerke Pforzheim führen die 4-Tage-Woche ein

Angesichts einer sich wandelnden Arbeitswelt, geprägt von digitaler Vernetzung und einem stetigen Streben nach Work-Life-Balance, werden alternative Arbeitszeitmodelle intensiv erforscht und diskutiert. Eines der verheißungsvollsten und wohl auch am meisten diskutierte Modell ist das der 4-Tage-Woche. Dieses Modell verspricht nicht nur eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sondern birgt auch das Potenzial, die Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern und die Produktivität zu erhöhen. Allerdings wirft die Einführung einer 4-Tage-Woche auch Fragen auf, insbesondere bezüglich der Auswirkungen auf die Arbeitsprozesse, den Kundenservice und die allgemeine Effizienz von Unternehmen.

Einer unserer Kunden hat es nun gewagt und entschieden, die 4-Tage-Woche zum 1. Januar 2024 einzuführen: die Stadtwerke Pforzheim. In einem exklusiven Interview mit Ulrike Adam, Bereichsleiterin Personal & Services und Personalleiter Holger Schreich, erhalten wir Einblicke in die Beweggründe, Herausforderungen und Ziele dieses mutigen Schritts bei den Stadtwerken Pforzheim (SWP).
Erfahrt in diesem Artikel mehr über den Weg, den das Unternehmen beschreitet, um die Arbeitswelt seiner Mitarbeiter:innen neu zu gestalten und sich als innovativer Arbeitgeber zu positionieren:

Hallo Frau Adam, hallo Herr Schreich, wir freuen uns sehr, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen – vielen Dank dafür!
Steigen wir doch direkt ins Thema ein: Könnten Sie kurz die Entscheidung zur Einführung der 4-Tage-Woche bei den Stadtwerken Pforzheim erläutern? Bisher gibt es nur wenige etablierte Unternehmen, die so einen mutigen Schritt wagen – welche Überlegungen und Ziele stehen für Sie dahinter?

Die Einführung der 4-Tage-FLEX-Woche erfolgte aus zwei Überlegungen heraus: Zum einen beschäftigt uns, wie andere Unternehmen auch, das Thema Employer Branding. Die Bindung unserer bestehenden Kolleg:innen und die Gewinnung neuer Mitarbeitenden ist hierbei wesentlich, um als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Zum anderen befinden sich die SWP bereits seit 2020 in einem tiefgreifenden Kulturwandel, der durch unsere KulturWERKstatt gemeinsam mit AviloX angestoßen und gestaltet wurde. In diesem offenen Prozess konnten sich alle SWP-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter einbringen, um die Unternehmenskultur von morgen zu gestalten. Im Zuge dieses Kulturwandels stellte sich auch die Frage nach der Arbeitszeit. Vor diesem Hintergrund haben wir ein Modell entwickelt, um laufende Prozesse und Personaleinsätze für ein Vier-Tage-Woche Flex-Modell ab 2024 zu testen.

Sie sprechen von 4-Tage-FLEX-Woche – was genau verbirgt sich dahinter? Gibt es spezifische Herausforderungen oder Chancen, die die Entscheidung für eben dieses Modell beeinflusst haben?

Am Anfang haben wir verschiedene Modelle der 4-Tage-Woche diskutiert. Dabei wurde uns schnell klar, dass wir ein Modell suchen, von dem alle Mitarbeitenden und Führungskräfte profitieren. Das heißt, es sollte kein Modell werden, das sich nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in höheren Entgeltgruppen leisten können. Außerdem sollten sich die Mitarbeitenden langsam an die Umstellung auf eine 4-Tage-Woche gewöhnen und sich entsprechend umorganisieren und nicht wie bei Covid von heute auf morgen mobil von zu Hause arbeiten müssen. Für einige Mitarbeiter:innen war das nämlich eine große Herausforderung. So entstand die Idee der 4-Tage-Woche FLEX, ein Modell, bei dem die Mitarbeiter:innen bei vollem Lohnausgleich ab dem Jahr 2024 pilotweise für ein Jahr im 4-Wochenrythmus zwei freie Tage erhalten. Insgesamt wird damit die tatsächliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit von bisher 39 Stunden auf 37 gesenkt. Einen Tag pro Monat erhalten sie in Form einer Zeitgutschrift vom Arbeitgeber auf ihr Arbeitszeitkonto, den anderen Tag arbeiten sie vor oder nach. Wichtig ist zu erwähnen, dass bei dem Modell die tariflichen und gesetzlichen Vorschriften, wie z.B. 30 Tage Urlaub, eingehalten werden. Auch die Vergütung bleibt gleich; es werden keine Anpassungen vorgenommen.

Klingt gut und wohl durchdacht! Wie genau wird die Einführung dann in der Praxis aussehen und mit welchen Herausforderungen rechnen Sie?

Das A und O der erfolgreichen Einführung werden klare Absprachen innerhalb der einzelnen Teams und Abteilungen sein. Der Betrieb und die Versorgungssicherheit müssen über die gesamte Woche aufrechterhalten werden, daher wurde bereits im Jahr 2023 mit der Anwesenheitsplanung über ein für das kommende Jahr maßgeschneidertes Personaleinsatzplanungstool begonnen. Unsere interne Digitalisierungsstrategie konnte bereits einige Prozesse optimieren und verschlanken – die reduzierte Arbeitszeit ist ein weiterer Ansporn, die internen Abläufe weiter zu verbessern und effizienter zu gestalten.

Eine weitere Herausforderung war es, die unterschiedlichen Zielgruppen wie Teilzeitbeschäftigte, Beschäftigte in Rufbereitschaft und Schichtarbeit, Eltern und auch Schwerbehinderte zu berücksichtigen und auf deren persönliche und betriebliche Belange einzugehen. Die Führungskräfte sind stark gefordert, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Prozess eng zu begleiten und zu unterstützen, sich gleichzeitig aber auch selbst neu zu organisieren. In diesem Kontext erfordert das Thema Führung erneut besondere Aufmerksamkeit.

Können Sie einmal auf die Chancen und Ziele dieses Modellversuchs eingehen? Was erhoffen Sie sich von der Einführung dieses 4-Tage-Woche-Modells?

Chancen und damit auch unsere Ziele ergeben sich aus der Hebung von Effizienzen. Alle Mitarbeitenden und Führungskräfte sind aufgefordert, Prozesse zu verschlanken, um die gleiche Arbeit in kürzerer Zeit zu erledigen. Wir versprechen uns aber auch z.B. eine Senkung der Fluktuations- und Krankenquote, zufriedenere Mitarbeiter:innen durch mehr Freizeit und insgesamt als attraktiver Arbeitgeber nach innen und außen wahrgenommen zu werden. Denn das Angebot unserer 4-Tage-Woche FLEX ist auch ein Zeichen der Wertschätzung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit vereinten Kräften die SWP aus einer schwierigen Situation wieder zu einem gesunden, wachsenden und stabilen Unternehmen gemacht haben.

Wie haben denn die Mitarbeiter:innen auf die Einführung der 4-Tage-Woche reagiert? Gab es bereits Feedback oder Bedenken seitens der Belegschaft?

Auf einer Betriebsversammlung hatten wir die Belegschaft erstmalig darüber informiert, dass wir Überlegungen hinsichtlich einer 4-Tage-Woche anstellen. Die spontane Reaktion hat gezeigt, dass das Gros der Mitarbeiter dies begrüßt.

Nachdem wir die ersten Punkte unseres Modells ausgearbeitet hatten, konnten die Mitarbeitenden ihre Bedenken und Wünsche in Workshops äußern. Neben konstruktiven Hinweisen wurden auch Bedenken geäußert wie zum Beispiel Befürchtungen, die gleiche Arbeit nicht in der vorgegebenen verkürzten Arbeitszeit zu schaffen.

Nach weiteren Anpassungen des Modells war eine stetig steigende Zufriedenheit der Mitarbeiter erkennbar. Sie arbeiten derzeit fleißig an der Verschlankung von Prozessen, um Zeiten einzusparen und auch die Führungskräfte unterstützen ihre Mitarbeiter:innen mit allen Mitteln.

Super, dass Sie ihre Mitarbeitenden engmaschig in den Einführungsprozess mit einbinden. Wie haben Sie auf die Bedenken reagiert, die Arbeit nicht mehr in der kürzeren Zeit zu schaffen? Und wie sehen die Arbeitszeitregelungen bspw. der Eltern aus?

Wir sehen es positiv, wenn unsere Mitarbeiter auch Bedenken äußern. Das zeugt davon, dass sie nicht nur nehmen, sondern auch nach wie vor geben wollen. Hier ist wieder Führungsarbeit gefordert: sollten die Mitarbeiter ihre bisherige Arbeit nicht in der reduzierten Zeit schaffen und können sich nicht selbst organisieren, sind sie aufgefordert, proaktiv auf ihre Führungskraft zuzugehen. Die Führungskraft sucht dann gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen eine Lösung.

Das finale Konzept inkl. der Betriebsvereinbarung wurde auf einer Infoveranstaltung im Oktober verabschiedet. Parallel wurde den Führungskräften ein Planungstool zur Verfügung gestellt, in welchem sie sämtliche freien Tage, Urlaube etc. einplanen konnten. Neben unserem bis zu 100 % möglichen mobilen Arbeiten soll die 4-Tage-Woche FLEX ein weiteres Arbeitszeitmodell darstellen. Grundsätzlich gilt die 4-Tage-Woche FLEX für alle Mitarbeiter:innen. Eine Ausnahme bilden Eltern mit Kindern, Teilzeitbeschäftigte, Mitarbeiter in Rufbereitschaft oder auch unsere Schichtmitarbeiter. Diese erhalten zum Teil abweichende Regelungen z.B. haben Eltern eine Wahlmöglichkeit an der 4-Tage-Woche FLEX teilzunehmen.

Haben Sie Kriterien definiert, die herangezogen werden können, um den Erfolg der 4-Tage-Woche zu bewerten? Gibt es konkrete Indikatoren, die im Blick behalten werden?

Ja, KPI sind z.B.: Fluktuationsrate, Krankheitsquote, Produktivität (soweit möglich), Entwicklung von Mehrarbeitsstunden und Stellenanzahl. Des Weiteren werden wir die Versorgungssicherheit und den Kundenservice ganz besonders im Blick behalten. Deren Betrieb muss die gesamte Woche aufrechterhalten werden – daran darf sich durch das Modell nichts ändern.

Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen?

Im Jahr 2024 werden wir zwei Mitarbeiterbefragungen durchführen, um zu eruieren, wie zufrieden die Mitarbeiter:innen und Führungskräfte mit den Rahmenbedingungen und ihrem eigenen Wohlbefinden sind und ob es grundlegende Veränderungen geben muss. Parallel wird die Personalabteilung quartalsweise mit den Führungskräften die KPIs besprechen, um ggfs. nachzujustieren.

Wie sehen Sie die langfristige Entwicklung der Arbeitszeitgestaltung bei den Stadtwerken Pforzheim? Gibt es weitere innovative Ansätze, die in Zukunft berücksichtigt werden könnten?

Schon während der Pilotphase im Jahr 2024 werden wir als Personalabteilung die Neuerung eng begleiten, analysieren und ggf. nachsteuern. Wenn das neue Arbeitszeitmodell gut angenommen wird und funktioniert, wollen wir im Jahr 2025 den nächsten Schritt gehen und die volle 4-Tage-Woche einführen. Aber auch die Weiterführung des 4-Tage-Woche FLEX Modells bis hin zur Rückkehr zu unserem alten Arbeitszeitmodell ist möglich.

Inwiefern sehen Sie die Einführung der 4-Tage-Woche als Teil eines möglichen Branchentrends? Welche Rolle können die Stadtwerke Pforzheim in dieser Hinsicht spielen?

Derzeit werden wir von vielen anderen Stadtwerken und Medien interviewt. Die 4-Tage-Woche ist in der Energiebranche, vor allem aber bei Stadtwerken, noch nicht im Fokus. Daher ist das Interesse groß, weiteres von unserem Modell zu erfahren. Aber genauso groß wird das Interesse sein, ob das Modell zum Erfolg wird.

Allerdings! Vielen Dank, Frau Adam, Herr Schreich für die Einblicke. Auch wir würden uns freuen, wenn wir uns vielleicht in einem Jahr hier wiedersehen und über Ihre Erfahrungen sprechen können. Wir wünschen Ihnen bis dahin und darüber hinaus maximalen Erfolg mit diesem innovativen Arbeitszeitmodell.

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