Flanierender New Worker unterwegs in den digitalen Arbeitswelten (1/2)

Bastian Wilkat ist Digitalstratege in einem Energiekonzern, Unternehmer (reVRsed) und Herausgeber von The New Worker. Außerdem podcasted er als Der Flaneur mit Gästen aus Digital, New Work u. v. m. Er liebt Kaffee, Filme und schwere Gewichte.

In zwei Interviews sprechen wir mit dem New Work Durchblicker über gelebte Modelle, Mythen, aber auch Voraussetzungen zu New Work, über Fragilität in der eigenen Lebenskarriere und vieles mehr.
Sven
TEIL 1: New Work – Utopie oder sogar Notwendigkeit in einer sich ständig wandelnden Welt?

TEIL 2: Praxiseinblick: New Work in einer traditionsreichen Branche (Produktion und Handel)

 

TEIL 1: New Work – Utopie oder sogar Notwendigkeit in einer sich ständig wandelnden Welt?

Anja: Hallo Bastian, wir kennen uns ja schon seit ein paar Jahren und ich höre dir in deinem Podcast immer wieder gern auf langen Autofahrten zu Kundenprojekten zu. Mit „The New Worker“ betreibst du außerdem auf Medium.com ein Magazin, bei dem verschiedene Vordenker, Praktiker und Begeisterte der New Work–Bewegung als Autorenteam zum öffentlichen Diskurs beitragen. Es freut mich sehr, selbst Teil dieses Autorenteams sein zu dürfen. Außerdem bist du selbst Unternehmer und angestellter Arbeitnehmer.

Danke, dass du Lust hast, auch mal selbst bei einem Interview Rede und Antwort zu stehen.

Bastian: Erstmal vielen Dank für die netten Worte und schön, dass dir der Flaneur gefällt. Und es freut mich tatsächlich, dass ich auch mal was loswerden kann. Damit halte ich mich in meinen Formaten ja immer sehr zurück.

Anja: Wenn wir New Work als eine Haltung verstehen, die damit einhergeht „zu tun, was man wirklich will“ und dadurch mehr Selbstwirksamkeit erlebt, dann klingt das ja immer alles sehr romantisch und erstrebenswert. Wenn ich mir deinen Lebensentwurf von außen anschaue, unterstelle ich mal, dass du „dein New Work“ gefunden hast.
Was macht New Work für Dich ganz persönlich aus? Und welche Vorurteile oder Mythen begegnen Dir in deinem Umfeld?

Bastian: Zu deiner ersten Frage: Für mich persönlich ist New Work einfach eine Geisteshaltung. Sich nicht mit dem Status quo zufrieden geben und sich trauen, neue oder andere Wege zu gehen, um besser zu werden. Ob in persönlicher Rolle, als Mitarbeiter oder Unternehmer. Da steckt ganz viel Selbstverantwortung drin. Im Unternehmenskontext bewegen wir uns alle in Werte- und Regelwelten, die man nicht so einfach umschiffen kann, wie man es als Privatperson in seinem eigenen Lebensentwurf machen kann. Deswegen erweitere ich New Work dort gerne noch darauf, dass es entsprechende Rahmenbedingungen geben sollte, damit Status quo-Verweigerer wirken können.

Zu deiner zweiten Frage: Ich respektiere Menschen zutiefst, die ohne eigenes Zutun nicht dem entsprechen, was in den jeweiligen Kulturkreisen von vielen Menschen als “nicht normal” angesehen wird, obwohl es gesetzlich so sein sollte: Menschen mit Behinderungen, Menschen mit anderer Hautfarbe, gleichgeschlechtliche Partner/innen – oder auch Frauen in Management-Positionen. Das erwähne ich hier, weil ich von vielen Menschen sehr viel Verständnislosigkeit entgegen gebracht bekomme, was meine Lebenskarriere angeht. Ich wähle das jedoch freiwillig und kann mich jederzeit ändern, wenn der Druck zu groß werden sollte (wird er nicht ;-)). Das können gerade genannte Menschen nicht. Und da viele von ihnen oft stigmatisiert werden und damit umgehen müssen, sehe ich die mir entgegengebrachten Vorurteile doch eher relativ.
Nach dieser Vorrede ein paar konkrete Klassiker, die ich immer wieder höre: “Man muss doch eine Sache machen – und die richtig”, “Pass bloß auf, dass Du dich da nicht verrennst”, “Du machst also alles und nichts?”, “Nur 3 Tage die Woche angestellt? Wie willst du dir dann ein Haus kaufen?”, “Angestellt und Unternehmer? Also mal buckeln und mal nach unten treten?”. Ein bunter Strauß an Vorurteilen. Ich kann das meist aber nachvollziehen, da die Personen ja auch ein eigenes Weltbild haben und selbst selten außerhalb ihrer Kuschelzone unterwegs waren. Von daher versuche ich die Vorurteile wann immer möglich in eine echte Diskussion zu drehen.

Anja: Wenn es Dir gelingt mit deinen „Vorurteilern” in einen Diskurs zu treten, bekommst Du heraus, was sie an ihrer eher als klassisch geltenden Lebenskarriere glücklich macht und warum Sie sich genau dafür entschieden haben?
Ich meine, es heißt ja nicht, dass eine bewusste Entscheidung für eine 40-Stunden-Woche in einer Firma für 10-20 Jahre nicht das sein kann „was man wirklich will“, oder?

Bastian: In den meisten Fällen ist es der Wunsch nach und der Glaube an Planbarkeit. Wer einen unbefristeten Arbeitsvertrag in einem soliden Unternehmen hat, kann einfacher ein Projekt wie einen Hausbau planen. Ebenso vereinfacht das die Familienplanung. Insbesondere in vielen Regionen Ostfrieslands, wo ich aufgewachsen bin, sind das noch die normalen Lebensentwürfe.
Das “Problem”: Außer bei Staatsbediensteten und gut ausgebildeten Angestellten in einigen Konzernen brauchen wir nicht ernsthaft von einer Jobsicherheit für die nächsten fünf, geschweige denn 20 Jahre zu sprechen. Von daher argumentiere ich oft gar nicht über das “was man wirklich will”, sondern über den Grad der eigenen Fragilität.
Ein Beispiel für ein fragiles Lebens- und Arbeitsmodell: Schulden, eine einzige Einkommensquelle (die darüber hinaus an die geleistete Arbeitszeit geknüpft ist), zu hohe fachliche Spezialisierung, in der hedonistischen Tretmühle befindlich, ein kleines und homogenes soziales Umfeld usw. Dann fällt bei vielen Menschen oft der Groschen und wir sprechen plötzlich darüber, in welchem Rahmen die Arbeit, die “man wirklich will”, weniger Nachteile hat. Und plötzlich sieht mein Gegenüber so viele andere Möglichkeiten – und ich bin dann meist immer noch ein komischer Vogel, aber vielleicht nicht ganz so blöd.

Anja: Höchst spannend, dass Du von Lebenskarriere und Fragilität sprichst. Das klingt für mich nach echter Verschmelzung von Arbeit und Leben. Und nach einem natürlichen Umgang mit der vermeintlichen Sicherheit, indem man sich einfach mehrere Standbeine schafft, mit denen man ausgleichen kann. Gern würde ich eine Facette deiner Lebenskarriere mal näher beleuchten.

Mehr dazu im 2. Teil des Interviews, welches am 20.07.17 hier erscheint.

Weiterführende Links:

http://revrsed.de/
http://www.the-new-worker.com/
http://bastianwilkat.de/podcast/

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