Kunst und Innovation – Eine Verbindung, die Neues schafft

Kunst und Innovation – Wenn Unternehmen ihre eigene Innovationskultur weiterentwickeln oder Open Innovation integrieren wollen, können Sie viel vom kreativen Schaffensprozess der Künstler lernen. Über die gewinnbringenden Parallelen zwischen Kunst und Innovation sprachen wir mit dem Kunstwissenschaftler und Wahrnehmungsforscher Dr. David Hornemann v. Laer von der Universität Witten/Herdecke. Herr Hornemann v. Laer studierte Kunstgeschichte und Erziehungswissenschaften und promovierte an der Universität Witten/ Herdecke über Michelangelos Genesisfresken. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Frage nach einer produktiven Zusammenführung von Erkenntnis- und Bildwissenschaft.

Interview-Reihe mit Dr. David Hornemann v. Laer:

TEIL 1: Kunst und Innovation – Eine Verbindung, die Neues schafft
TEIL 2: Innovationskultur – die richtige Atmosphäre für kreatives Schaffen
TEIL 3: Open Innovation – Neue Blickwinkel und die Kunst der Wahrnehmung

 

TEIL 1: Kunst und Innovation – Eine Verbindung, die Neues schafft

AviloX: Welche Parallelen zwischen dem künstlerischen Schaffensprozess und der Kreation neuer Dienstleistungen, Produkte und Organisationen sehen Sie besonders?

Dr. Hornemann v. Laer: Immer wenn etwas Neues passiert, gibt es mit Sicherheit Parallelen. Der Künstler ist in gewisser Hinsicht Unternehmer. Er unternimmt und gestaltet etwas. Dabei sucht er die Dinge neu und anders zu sehen, um sich überraschende und ihn anregende Einsichten zu verschaffen. Vor kurzem unterhielt ich mich mit einer Künstlerin, die sagte, sie sei völlig areligiös, aber trotzdem entstünden bei ihr immer religiöse Bilder. Sie könne sich nicht dagegen wehren. Kunst ist eben nichts Ausgedachtes, nichts Willkürliches. Auch wenn es zunächst ein ganz subjektiver Prozess ist, bei dem der Künstler seinen eigenen Standpunkt, in den tausend Möglichkeiten seine eigene Möglichkeit finden muss, so kommt er bekanntlich in seinem Schaffensprozess doch an einen Punkt, an dem er aufpassen muss, rechtzeitig aufzuhören, um das im Entstehen begriffene Kunstwerk nicht zu zerstören. Am Ende steht – wenn es gut geht – ein Werk, das für sich selbst stehen kann.

AviloX: Was steht am Anfang eines künstlerischen Prozesses?

Dr. Hornemann v. Laer: Die Laienansicht geht davon aus, dass am Anfang eine Idee, eine fertige Vision steht und diese dann 1:1 umgesetzt wird. So betrachten ja auch viele Unternehmen den Entwicklungsprozess von etwas Neuem. Wenn man genauer hinschaut, stellt sich das in der Realität ganz anders dar. Der Künstler hat zwar eine Anfangsidee, aber das Verhältnis zu dieser Idee ist lebendig und beweglich und muss im Verlaufe des schöpferischen Prozesses erst noch gefunden, präzisiert und unter Umständen auch ganz neu geschaffen werden. Deshalb ist sein Verhältnis zu dem, was er hervorbringen will, ein nicht von Vorwissen geleitetes Vorgehen. Er ist selbst offen für das, was entstehen will. So wie die eben beschriebene Künstlerin, die jedes Mal überrascht ist, dass da etwas Religiöses entsteht. Das will sie gar nicht, das ist nicht ihre Anfangsidee. Aber es entsteht. Es geht also nicht um das Umsetzen und Exekutieren eines im Kopf schon fertigen Konzepts, sondern um die Bereitschaft, Neues zuzulassen und sich von dem überraschen zu lassen, was da entstehen will.

AviloX: Und wann entscheidet der Künstler, dass der Schaffensprozess zu Ende ist? In der Wirtschaft spricht man ja dann erst von Innovation, wenn ein Kaufverhalten ausgelöst wird, wenn also tatsächlich Märkte entstehen, die bereit sind, für das Neue zu zahlen. Wie ist das denn in der Kunst, ist das da auch der Maßstab für Erfolg oder Nichterfolg?

Dr. Hornemann v. Laer: Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht etwas sichtbar, sagte Paul Klee. Wenn ein Unternehmer eine Idee hat, die nicht von den konkreten Bedürfnissen abgelesen ist und nicht eine spezifische Lücke bedient, dann verschwinden die Unternehmen wieder vom Markt. So ist es in der Kunstwelt auch. Wenn die Kunst nicht etwas sichtbar macht, was den Bedürfnissen der Menschen entspricht, wenn sie nur auf den Effekt hin geschaffen oder schon Vorhandenes zu reproduzieren sucht, wird ein Kunstwerk schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Der Maßstab für Erfolg oder Misserfolg ist hier weniger das Kaufverhalten als die nachhaltige Wirkung, die es auszulösen vermag.

Ich besuchte vor kurzem eine Künstlerin in ihrem Atelier. Sie zeigte mir ihre Skulptur, die gerade im Entstehen ist. Ich hatte plötzlich richtig Respekt davor, mich diesem Kunstwerk auszusetzen. Die Figur ist überlebensgroß, teilweise abstrakt, teilweise figürlich, dunkel angemalt. Die Künstlerin bemerkte, dass sie die Ereignisse in der Ukraine intensiv beschäftigen würden. Ich konnte ihrer Skulptur dies anmerken. Es ist kein Kunstwerk, was nur im Atelier entsteht. Vielmehr besteht eine Verbindung mit der Welt und ist deshalb in einem größeren Kontext zu betrachten.

Und genau darum geht es. Die Künstlerin hat etwas wahrgenommen und sich nicht etwas ausgedacht. In ihr hat sich, um mit Anselm Kiefer zu sprechen, die Welt zum Gegenstand geformt, das Bild vergegenständlicht.

AviloX: Wann erkennt ein Künstler, dass die Idee nichts wird, dass er sich davon lösen muss? Sich von geliebten Ideen zu trennen, fällt Unternehmen ja oft sehr schwer, gerade weil so viel investiert wurde.

Dr. Hornemann v. Laer: Wenn man die Wahrnehmung ernst nehmen würde, würde man sehen, dass es nicht weiterführt. Man darf sich nicht von der Hoffnung leiten lassen oder von dem Gedanken, man hätte schon so viel Zeit und Geld investiert, dass man weitermachen muss. So entstehen schnell Selbstläufer, aus denen man nicht mehr herauskommt.

Der Künstler ist da aber auch emotionsloser. Er hat ein distanzierteres Verhältnis zu dem, was er tut, weil er das, was entsteht, von außen betrachtet. Deshalb kann er in der Regel ganz klar erkennen, wenn er nicht mehr weiterkommt. Doch gibt es natürlich auch hier die Selbstverliebtheit in die eigene Idee, das Nicht-wahr-haben-Wollen des Holzweges, weshalb auch in der Kunst viel Ausschuss entsteht.

AviloX: Brauchen also auch Unternehmen diese Distanz im Innovationsprozess?

Dr. Hornemann v. Laer: Distanz und Perspektivenvielfalt. Joseph Beuys beispielsweise fordert, dass man auch die Idee als plastisches Kunstwerk betrachten lernen müsse, um sie – aus der Distanz heraus – auf ihre Form, Proportion und Kraft hin anschauen zu können.

 

Weiterführende Links:

John Maeda: Innovation is born when art meets science auf www.theguardian.com

Art and Economy – How professional organizations can learn from creative disciplines – von Dirk Dobiey


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Bildnachweis:  Alpha du centaure / flickr.com

One Comment

  1. Dirk Dobiéy 29. April 2014 at 15:35

    Vielen Dank für den gelungenen Start in diese Interviewreihe. Die Gedanken zum Standpunkt und zur Idee der Iteration finde ich besonders interessant. Dahinter verbergen sich weitere elementare Fragestellungen, zum Beispiel:

    1. Wie entwickeln wir Positionen im Organisationsalltag? Um einen Standpunkt oder eine Position zu entwickeln muss man sich festlegen und hierfür Entscheidungen treffen. Neil Kleinman, Professor für Innovation und Entrepreneurship an der Universität der Künste in Philadelphia hat mir in einem Gespräch vergangene Woche berichtet eine seiner Hauptaufgaben bei der Ausbildung junger Künstler sei ihnen beizubringen ihre eigene Position zu finden und zu artikulieren. Dies zu tun erfordert aber auch Mut und die Bereitschaft sich angreifbar zu machen. Aus Gründen der Risikominimierung wird dies in Organisationen jedoch häufig vermieden. Künstler müssen gerade stehen für ihre Kunst – auf der Bühne oder in der Ausstellung. Organisationen sind häufig noch nicht der Raum in dem Mitarbeiter bereit sind Risiken einzugehen und einen Standpunkt zu vertreten. Dort wo sichere Räume entstehen kann großes entstehen.

    2. Wie stärken wir in professionellen Organisationen die Bereitschaft Dinge sich entwickeln zu lassen? Formale Prozesse, beispielsweise der Planung und Budgetierung, stehen häufig im krassen Kontrast zur Idee des sich entwickelnden Kunstwerks. Die Idee der Improvisation (im Jazz) oder der Iteration (bei der Probe eines Theaterstücks) kann sich nur dann entfalten wenn die Menschen in Organisationen bereit sind die Ambiguität der Ansätze (Deduktion = Anwendung von Modellen/Regeln/Prozessen und Induktion = Produktion von Modellen/Kunst) zuzulassen. Obgleich den meisten Menschen mit Projekterfahrung bewusst ist, dass es sehr selten zu den anfangs geplanten Ergebnissen kommt ist noch immer nicht allgemeine Praxis die Unsicherheit bei der Entwicklung des Endproduktes zuzulassen. Der Wandel von der „Waterfall“ Methode bei der Softwareentwicklung hin zu „Agile“ bildet hier eine nachahmenswerte Ausnahme.
    Die Schnittstelle zwischen Kunst und der Arbeit in professionellen Organisationen ist ein spannendes Thema und ich freue mich auf Ihre nächsten Beiträge.

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